Das Haus, in dem heute (2019) der Modellbahntreff ist, steht in der Braunstr 14 in Michelstadt und hat eine sehr bewegte Geschichte.
Johann Christoph Heil baute das Doppelanwesen 14/16 1766.
Zuerst richtete dort die Familie Strauß einen Laden ein. 1910 übernahm ihn Otto Reichardt (oft auch Reichardt oder Reichert geschrieben) von Bernhard Ettlinger, er meldete das Gewerbe als "Ellen-, Kurzwarenhändler, Kleinhändler mit neuen Kleidern" an. 1920 kaufte Otto Reichardt das Haus.
Otto war eines von 8 Kindern der Familie, 6 davon fielen dem Holocaust zum Opfer.
Diese Anzeige stammt aus der Festschrift das Bundes-Sängerfestes das 1914 in Michelstadt stattfand. Otto Reichardt erweiterte schnell sein Sortiment und führt nun auch Schuhe, Kolonialwaren, Obst und Gemüse, nach dem Krieg auch Tabak und Zigarren. Er kämpfte bis 1915 im Krieg und erkrankte da an der Ruhr.
Ab 1924 fungierte er auch als Auswanderungsagent der Hamburg-Amerika-Linie.
Eine Variante derselben Anzeige, nur mit dem Hinweis dass das Kaufhaus Reichardt als "billiger Laden" bekannt ist.
1912 in der Michelstädter Zeitung erschienene Anzeige des Kaufhauses.
Auch diese Anzeige des "billigen Ladens" stammt von 1912.
Bettfedernreinigung gehörte auch zum Betätigungsfeld des Kaufhauses.
Die hier erwähnte Reinigungsmaschine stand im Keller des Kaufhauses. Dazu musste der Keller tiefergelegt werden.
Otto Reichardt war Jude. Er stand der Michelstädter Jüdischen Gemeinde vor.
Aus http://wider-des-vergessens.org/gerechte/list,-heinrich.html:
"Der Vorstand der Michelstädter Jüdischen Gemeinde Otto Reichardt, gehörte zu den Geschäfts- und Handelsleuten, die vor den Augen ihrer Angehörigen aus ihren Wohnungen gezerrt, die Treppe hinunter geworfen und blutig geschlagen worden waren. Das Kaufhaus des Otto Reichardt und seine Familie war das erste Ziel der Zerstörung und der ‚Empörung’ des Volkes, die sich in Michelstadt gegen eine kleine, aber sehr lebendige jüdische Gemeinde richtete. Über Nacht wurden sie in der kleinen Arrestzelle unten im historischen Rathaus eingesperrt. In der Frühe des 10. Novembers (1938) wurden sieben Männer aus Michelstadt auf einem Lastwagen in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar gekarrt"
Laut dem Buch "Stolpersteine in Michelstadt" von Heinz-Otto Haag, dem viele Informationen auf dieser Seite entstammen, war Otto Reichardt sehr beliebt, da man bei ihm gut anschreiben konnte. Daher war sein Schuldenbuch auch eines der gesuchten Ziele während der Plünderungen in der Pogromnacht.
Otto Reichardt half auch unwissentlich dem Michelstädter Bürgermeister Heinrich Ritzel aus der Patsche. Ritzel musste Michelstadt verlassen, da er den Nazis als unparteiischer, religionsunabhängiger Bürgermeister ein Dorn im Auge war und endete nach einer Arbeit im Saarland fast mittellos in der Schweiz. Dort half ihm ein jüdischer Angestellter einer großen Firma weil Otto Reichardt diesen Dankesbrief zu seinem Abschied aus Michelstadt veröffentlicht hatte:
1917 erschien im Centralanzeiger für den Odenwald diese Anzeige für Holzsohlen, die es im Kaufhaus Reichardt gab.
Diese schöne Anzeige erschien auch 1917 pünktlich zu Weihnachten